Die Geschichte der galerie futura beschreibt eine, sich seit Mitte der 1980er Jahre entwickelnde, Entstehung ihres Futuristan. In unserem Interview berichten Katharina Koch und Dorothea Nold, wie sich Erfolg mit produktivem Scheitern verbinden lässt und welche Rolle Projekträume damit in der Öffentlichkeit einnehmen.
PSF: Futura wurde 1986 in der Folge der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl gegründet. Wer waren die Gründerinnen? Was war deren Anlass?
Katharina Koch und Dorothea Nold: Die Gründerinnen des Projektes FUTURA in Zehlendorf waren Frauen – meist aus dem akademischen Umfeld – die sich aus ihrem Engagement für die Frauenfriedensbewegung her seit Jahren kannten. Die Frauenfriedensbewegung um Eva Quistorp in Berlin charakterisiert von Beginn an ihr internationales Selbstverständnis – in Berlin insbesondere ihr enges Netzwerk mit Frauen aus der DDR-Widerstandsbewegung um Bärbel Bohley. Der Reaktorunfall in Tschernobyl bot durch sein existentielles Bedrohungsszenario den endgültigen Anstoß, einen eigenen Ort der Begegnung und Vernetzung von und für Frauen zu gründen.
Nathalie Anguezomo Mba Bikoro, Plantation Memories, Performance, 2016
Foto: alpha nova
PSF: Lag der Schwerpunkt vom Anfang an auf Kunst und Kultur? Welche Aktionen, Veranstaltungen oder Konstellationen gab es in den späten 1980er Jahren?
KK & DN: Der erste Ort am Mexikoplatz warb mit dem Namen FUTURA Frauen Culture Cafe und legte seit Beginn den konzeptionellen Schwerpunkt auf Kunst und Kultur. Es war die Zeit der Frauensommeruniversitäten, an denen mit Leidenschaft weibliche Geschichte in allen kulturellen Bereichen aufgearbeitet wurde und in der z.B.1986 in der Frankfurter Oper das große Opernfest „Mit Mut und Phantasie – Frauen suchen ihre verlorene Geschichte“ mit hunderten Frauen in historischen Kostümen gefeiert wurde. FUTURA hatte selbstverständlich einige Protagonist*innen geladen.
FUTURA richtete gemeinsam mit dem Kunst-Film Kino Bali die ersten Frauenfilmtage im Südwesten Berlins aus, bot Lesungen, Konzerte und Diskussionen aus allen aktuellen Themenbereichen an – immer wieder auch gemeinsam mit der politischen Buchhandlung Kannenberg&Rentschler. Das Engagement für Künstler*innen blieb zuerst auf das bezirkliche Umfeld beschränkt, wobei erste Kontakte zur Kunstinstitution Haus am Waldsee entstanden.
Als Projekt war FUTURA fest in das Netzwerk Berliner Frauenprojekte eingebunden und war Mitglied von „ZOFF –Zukunftsinitiative für Frauen“, ein Projektezusammenhang, der die Aus- und Fortbildung akademischer Frauen im Projektmanagement zum Inhalt hatte – mit finanzieller Stellen- und Sachmittel- Förderung des Arbeitsamtes.
PSF: Galerie Futura hatte ihre ersten Räume am Mexikoplatz im Zehlendorf. Hatte die Wiedervereinigung Deutschland eine Wirkung auf das Projekt und wenn ja, in welcher Hinsicht?
KK & DN: Das Jahr der Wiedervereinigung wurde zur Initialzündung des Projektes, der Aufbruch in eine Zeit, die sich nicht mehr mit beengten Räumlichkeiten und der Nischenpolitik des Berliner Senats zufrieden geben wollte.
FUTURA wollte Frauen-Geschichte mitschreiben. Darum engagierte sich die Projektleiterin Uta Koch-Götze als naheliegende Kooperation in Potsdam und gründete mit Potsdamer Frauen das Europäische Frauen-Cultur-Centrum e.V. (EFCC). Inzwischen konnte das Projekt auch in Zehlendorf endlich eigene Räume beziehen, die 1991 mit einer Grafiksammlung von DDR-Künstler*innen, die das EFCC angekauft hatte, eröffnet wurde. Von diesem Zeitpunkt an bot die Galerie FUTURA Künstler*innen – inzwischen mit internationaler Ausrichtung – in sechs Ausstellungen pro Jahr professionelle Rahmenbedingungen, begründete die Tradition der jährlichen Sommergarten-Ausstellungen und intensivierte die Zusammenarbeit mit dem Haus am Waldsee und seiner Leiterin Frau Straka.
Es entstanden die ersten finanzierten Ausstellungskataloge, und 1998 konnte die Galerie FUTURA die erste erfolgreiche Fortbildung für Künstler*innen anbieten unter dem Titel: „Aus dem Rahmen tanzen – in den Erfolg“. Ebenso wurde in diesen Jahren die intensive Zusammenarbeit mit dem Frauenmuseum Bonn begründet. Höhepunkt war im Jahr des Hauptstadtwechsels 1999 die künstlerische Intervention des Fahnenprojektes FUTURA als Beitrag im Rahmen von „StadtKunst Bonn“.
PSF: 2001 zog Futura nach Friedenau und die Kulturwerkstatt Alpha Nova wurde gegründet. Was war der Anlass dafür?
KK & DN: 2001 verlor die Galerie FUTURA die bezirkseigenen Räume wegen angemeldeten Eigenbedarfs des Bezirkes. Auf der Suche nach einem neuen Quartier bezog das Projekt seinen Standort in Friedenau, einem der traditionsreichsten Kunststandorte Berlins. Die Räume in einem Jugendstilhaus unter Denkmalschutz boten ideale Bedingungen für repräsentative Ausstellungen, aber genauso auch für publikumswirksame Rahmenprogramme wie Lesungen, Buch- und Konzertpremieren, Rund-Tische für Künstler*innen, den deutsch-jüdischen Dialog oder den langjährigen Arbeitskreis von Frauen aus verschiedenen kulturellen Kontexten, aus dem zwei erfolgreiche Publikationen im Geest-Verlag erschienen. Diese Angebote hatten konzeptionell Werkstatt-Charakter und wurden unter dem Namen alpha nova-kulturwerkstatt zusammengefasst. Dazu gehörten ebenso das Werkstatttheater alpha nova, das sich inzwischen verselbständigt hat, der intensive Kontakt mit Verlagen wie dem AvivA Verlag, dem Verlag Brigitte Ebersbach und als kontinuierliche Programmzusammenarbeit der APHAIA Verlag, mit dem das Projekt ein verwandtes Konzept – den Dialog der Künste zwischen Lyrik, Bildender Kunst und Musik – verband.
Der Standort in Friedenau wurde vor allem aber zur Herausforderung für die Belebung der kulturellen und Kunst-Szene dieses ehemaligen Künstlerbezirks, deren Tradition 2001 geradezu verschüttet war. Als Mitinitiatorin konnte alpha nova-kulturwerkstatt & galerie futura in wenigen Jahren erfolgreich dazu beitragen, dass inzwischen mit der „Südwestpassage Kultour“ eine lebendige bezirkliche Kunst/Kultur wiederentstanden ist.
Ausstellungsansicht WELCOME TO FUTURISTAN. 30 Jahre galerie futura, 2016
Foto: alpha nova & galerie futura
PSF: Für queer-feministischen Perspektiven gibt es ständig Erneuerungen, vom sogenannten „Third-Wave“ Feminismus der 90ern bis zum Postgenderismus und Denkrichtungen des postkolonialen Feminismus. Wie bringt ein Projektraum mit einer 30-jährigen Geschichte diverse Modi von Kritik und Handlung zusammen?
KK & DN: Mit einem Generationswechsel in der Künstlerischen Projektleitung von alpha nova & galerie futura 2012 ging nicht nur der Umzug des Projekts in die Kunstfabrik am Flutgraben an der Grenze zwischen den Berliner Bezirken Kreuzberg und Treptow einher, sondern auch eine Neuausrichtung des Konzepts. Die neuen Leiterinnen Katharina Koch und Marie-Anne Kohl intendierten einen Kunstraum zu schaffen, der explizit für ein feministisches Selbstverständnis stand und bis heute steht. Weiterhin lag und liegt der Schwerpunkt auf der Zusammenarbeit mit Künstler*innen mit dem Ziel, Frauen* in Kunst und Kultur zu fördern und ihnen Präsentationsmöglichkeiten zu bieten. Allerdings zielt alpha nova & galerie futura mit ihrem feministischen und antirassistischen Ansatz in erster Linie darauf, Öffentlichkeiten zu schaffen für bestimmte geschlechter- und identitätspolitische Themen, für postkoloniale Perspektiven und darauf einen Kontext herzustellen, in dem sich diskursive Formate mit künstlerischen und aktivistischen verschränken. Dazu gehören neben Ausstellungen vor allem performative, kollaborative prozess- und gesprächsbasierte Angebote sowie Workshops. Anknüpfend an gendertheoretische und queerpolitische Perspektiven hat sich der ehemalige Fokus einen Kunstraum von und für Frauen zu schaffen diversifiziert. Dennoch stehen wir im engem Dialog mit der früheren Leiterin Uta Koch-Götze, arbeiten mit Künstler*innen und Akteur*innen zusammen, die schon seit mehr als 15 Jahren mit alpha nova & galerie futura verbunden sind – so wie beispielsweise bei der aktuellen Ausstellung WELCOME TO FUTURISTAN. 30 Jahre galerie futura im Kunstquartier Bethanien (7.-27.8.2016). Für diese haben wir bewusst verschiedene Generationen von Künstler*innen zusammengebracht. Der intergenerative Austausch ist ein wichtiger Aspekt auch in der laufenden Arbeit von alpha nova & galerie futura, um verschiedene Erfahrungen, Verständnisse und Blickwinkel zusammenzubringen, Kontinuitäten und Brüche hinsichtlich feministisch-künstlerischer Aktivität auszumachen und zu diskutieren sowie Anknüpfungsmöglichkeiten auszuloten.
PSF: Wie arbeitet man sowohl inter-generationell als auch inter-kulturell?
KK & DN: Wie schon erwähnt ist uns der intergenerative Aspekt in unserer Arbeit wichtig. In diesem Sinne versuchen wir immer wieder gezielt Situationen und Formate im Rahmen von themenbezogenen Projekten zu schaffen, in denen sich Akteur*innen unterschiedlichen Alters austauschen und mit ihren jeweiligen Erfahrungen einbringen können – oftmals sind das Menschen, die sich anderswo nicht unbedingt begegnet wären. Im Rahmen des 30jährigen Jubiläums haben wir das Archiv des Kunstraums sukzessive aufgearbeitet und zugänglich gemacht. Diese Arbeit hat uns auch nochmal fragen lassen, wie man überhaupt mit einem Archiv umgeht, wie man es für zukunftsgewandte Fragestellungen produktiv machen kann – es also in einer Form lebendig werden lässt, so dass damit als einem kontextbasierten, wandelbaren, interaktiven und unabgeschlossenen Format weitergearbeitet werden kann. Dazu haben wir als Rahmenprogramm eine Reihe mit Veranstaltungen konzipiert, in denen feministische Konzepte, Perspektiven und spartenübergreifende Kunstpraktiken im Wandel der Zeit erlebt und diskutiert werden konnten. Ein Beispiel dafür ist die Veranstaltung „Film als Experiment. Experimental- und Avantgardefilm von Frauen – Einblicke in eine besondere Sammlung“ zu der Prof. Dr. Annette Brauerhoch als Expertin eingeladen war sowie einige der Filmemacher*innen, die vor allem in den 1980er Jahren aktiv waren. Hier war die Mischung der Generationen im Publikum deutlich sichtbar.
Da unser Publikum sehr international und heterogen ist, ergibt es sich hingegen viel weniger konzeptionell angelegt, dass Menschen mit den verschiedensten gesellschaftlichen Erfahrungshintergründen bei alpha nova & galerie futura zusammentreffen und sich auseinandersetzen. Natürlich hat sich alpha nova & galerie futura im Laufe der Jahre ein Stammpublikum aufgebaut. Allerdings ist es interessant zu beobachten, da unsere Projekte, thematischen Schwerpunkte und Kooperationen sehr divers sind, wie sich je nachdem immer wieder neue Konstellationen des Publikums ergeben, die auch neue Formen des Austausches hervorbringen.
crisusRus NETWORK | RE:WORK, Workshop und Performance initiiert von LaptopsRus in Kooperation mit alpha nova und reboot.fm, 2014
Foto: alpha nova & galerie futura
PSF: Wie schafft man ein Rahmen für Kritik in der Berliner Kunst- und Kulturszene?
KK & DN: alpha nova & galerie futura versteht sich als feministischer Kunstraum. Das heißt für uns zum einen, Öffentlichkeiten zu schaffen für marginalisierte Themen und Positionen – generell in der Gesellschaft und speziell im Feld der Kunst sowie die jeweiligen Produktionsbedingungen und Kontexte mitzudenken, mit denen sich die Künstler*innen konfrontiert sehen. Das schließt demnach ein, Räume und Situationen zu schaffen, in denen normative, machtvolle und Ungleichheitsstrukturen aufgezeigt und markiert werden sowie gemeinsam Strategien ausgelotet werden, diesen entgegenzuwirken. Zum anderen bedeutet es für uns, einen Raum für Reflexion darüber herzustellen, wie kollektiv und nicht-hierarchisch zusammengearbeitet werden kann, wie Inklusion funktionieren kann und welche solidarischen Praxen dafür notwendig und voraussetzend sind. Das heißt auch, die eigenen, auch privilegierten Positionen zu reflektieren sowie die unterschiedlichen Ressourcen- und Machtverteilungen, in die wir als Kunstraumleiterinnen eingebunden sind und die wir, wenn auch ungewollt, immer mitproduzieren. Beispiele für Projekte, in denen wir diese verschiedenen Ebenen zusammengebracht haben sind der Workshop „Kunst Krise – feministische Positionen“ (2014) sowie die Ausstellung und Veranstaltungsreihe „Prekäre Kunst: Protest & Widerstand“ (2015), die wir gemeinsam mit der Kuratorin Stacie CC Graham realisiert haben. Bei beiden stand ein intersektionaler Ansatz im Vordergrund, d.h. das Zusammenwirken mehrerer Identitätsmerkmale (z.B. race und gender) zu untersuchen, um diese sozialen Konstruktionen als Diskriminierungsformen in ihrer Ganzheit tatsächlich zu begreifen. In künstlerischen Positionen, Film, Spoken Word, Musik, Vorträgen und Diskussionen setzte sich das Projekt mit strukturellen und Alltagsrassismen sowie Sexismen im Kunstbetrieb auseinander. Es wurden verschiedene Strategien erörtert, wie insbesondere Schwarze Frauen und Frauen of Color strukturellem Rassismus, Alltagsrassismus, Sexismus und den Erfahrungen von Nicht-Repräsentation im weißen Kunstbetrieb entgegenwirken können. Gleichzeitig ging es darum, welche solidarischen Praxen Voraussetzung sind, um wirkliche Inklusion in (Kunst-)Räumen umzusetzen.
Diese Schwerpunkte und die Kooperationen werden 2017 in verschiedenen Formaten fortgesetzt. Generell haben Praxen der Vernetzung, der Kollaboration, der Solidarität, der Achtsamkeit und des Zuhörens, der gemeinsamen Strategieentwicklung, des kontinuierlichen Sichtbarmachens marginalisierter Themen und Positionen sowie die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Position in unserer Arbeit einen hohen Stellenwert.
PSF: Was ist ein Projektraum?
KK & DN: Das schöne am Projektraum ist, dass er nicht klar definiert werden muss. In unserem Fall ist er meistens ein Ort für Experimente, weniger ergebnis- als prozessorientiert, ein Raum, um unterschiedliche Formate anhand von bestimmten Fragestellungen zu konzipieren und auszuprobieren. Er kann dabei zu einem gegenöffentlichen Raum werden, je nach thematischen Schwerpunkten und Formen der Kollaboration. Dadurch dass er keiner festgesetzten Kategorie entspricht, können die unterschiedlichen Bedürfnisse der Akteur*innen den Raum zu dem machen, was ihnen entspricht: Das heißt, er kann im Einzelfall auch zum Sprungbrett werden für eine kunstmarktorientierte Karriere. Er bietet also idealerweise verschiedenen Anknüpfungsmöglichkeiten, ist offen und wandelbar, vereint Erfolge und produktives Scheitern.
August 2016, Künstlerische Leitung alpha nova & galerie futura: Katharina Koch und Dorothea Nold
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Performance: If You Fail To Cross The Rubicon, Nathalie Anguezomo Mba Bikoro
18. August 2016, 18:00 – 18:30. The performance is presented in the frame of the exhibition WELCOME TO FUTURISTAN. 30 Jahre galerie futura (7.8.-27.8.16) im Kunstquartier Bethanien.