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Chris Benedict engagiert sich seit Jahren im Vorstand des Netzwerks freier Berliner Projekträume und -initiativen für die freie Szene Berlins. Ein Gespräch über Grauzonen, den Kampf mit der Politik und die Frage, ob die Berliner Projekträume eine Zukunft haben.

In diesem Jahr findet zum ersten Mal eine Kooperation zwischen dem Festival und dem Netzwerk freier Berliner Projekträume und -initiativen statt. Wie kam es dazu?
Die Überlegungen gab es schon länger. Es stand immer die Frage im Raum, ob es besser ist, das Festival und das Netzwerk separat zu lassen, oder ob man beides durch eine Kooperation zusammenführen könnte? Einige im Netzwerk, darunter auch ich, sind der Meinung, dass ein Schulterschluss Sinn macht, weil wir ja im Grunde die gleichen Interessen und Ziele haben. Wir haben dann mit Marie-josé, der Festivalleiterin, gesprochen und dann war auch schnell klar, dass das ganz gut passen wird.

Es gibt zwei Podiumsdiskussionen. Welche Fragen stehen da thematisch im Fokus?
Beim zweiten Podium geht es um Netzwerkbildung, kollektive Prozesse und die Solidarisierung der Szene. Im Titel steht Kommen und Gehen. Die Frage ist: Welche Projekträume werden bleiben und wenn man bleibt, wie wird geblieben? Manche arbeiten ja eher so alleine vor sich hin und andere suchen Anschluss an Netzwerke und wir wollen fragen, was es für verschiedene Modelle gibt in der Szene. Das erste Podium beschäftigte sich mit dem Verhältnis der Projekträume zur Galerienszene; das ist eigentlich eine Fortsetzung der ganz großen Debatte Markt vs. Off. Also was sind Projekträume im Unterschied zu Galerien, wo ist die Grauzone, was definiert die Projekträume? Wo verläuft die Trennlinie und verschiebt sie sich vielleicht gerade? Was heißt überhaupt marktorientiert und wo beginnt Kommerzialität? Das ist ja alles hochaktuell und die Debatte ist immer im Fluss.

Werden die Kriterien, die einen Projektraum bestimmen, also in Zukunft vielleicht etwas aufgeweicht werden?
Wir sind auf jeden Fall in einem Prozess. Im Netzwerk wird das schon sehr lange diskutiert und wir wollen da weiterkommen. Ob die vom Netzwerk 2011 formulierten Kriterien, die einen Projektraum definieren, noch Bestand haben können, muss man immer mal wieder hinterfragen. Uns ist auch aufgefallen, dass der Begriff Projektraum inflationär benutzt wird. Man stolpert in der Stadt immer wieder über Räume, die sich Projektraum nennen, obwohl sich dahinter nach unserem Verständnis etwas sehr anderes verbirgt. Auch in der Politik und in der Verwaltung gibt es ganz diverse Verständnisse davon, was ein Projektraum vielleicht sein kann. Und natürlich muss man offen dafür sein, wenn die Szene sich verändert, wenn der finanzielle Druck so groß wird – zum Beispiel durch steigende Mietpreise –, dass man bestimmte Finanzierungsmodelle für Projekträume trotzdem als nicht-marktorientiert wertet.

Wo war für das Netzwerk da bisher immer eine klassische Trennlinie?
Na wer zum Beispiel auf eine Messe geht, der war für uns ganz klar kein Projektraum. Oder wer Kunst verkauft und Prozente nimmt, war ganz klar eine Galerie. Aber so einfach ist es dann eben doch nicht in der Realität. Es gibt Projekträume, die in der Vergangenheit mal etwas verkauft haben, weil auch sie ja irgendwie ihre Miete einspielen müssen, richtig? Ich weiß aber nicht, ob man die Grauzone so ganz gelassen hinnehmen kann, weil das nicht zuletzt auch für eine Förderung wichtig ist. Es ist wenig praktikabel für unsere politische Arbeit, wenn die Trennlinien ganz verschwinden.

Wobei ja auch die Galerien ständig nach Förderung rufen.
Na klar, und sicherlich nicht zu Unrecht. Nur sind das trotzdem andere Modelle und daher sollte die Förderung auf einer anderen Grundlage geschehen.

Von „Bestäubung“ war in der Ankündigung zur Diskussion so schön die Rede. Dahinter steht die Idee, dass es vor allem die Projekträume sind, die die Kulturszene fruchtbar machen. Natürlich steckt da auch immer ein kleiner Vorwurf gegenüber den Galerien drin, dass sie die harte Arbeit der freien Szene einfach abgrasen, dass sie das Modell des Projektraums sogar kapern. Immer wieder wird um die Trennlinie zwischen Galerien und Projekträumen gerungen und die Diskussion war ja in den vergangenen Jahren auch immer wieder von feindlichen Untertönen gezeichnet. Findet man vielleicht im Interesse der Kunst und der Künstler*innen in Zukunft zu einer friedlichen Co-Existenz?
Ich glaube, co-existieren tun wir eigentlich mit allen recht friedlich. (lacht) Und vielleicht ist es ja auch toll, wenn eine Galerie einen eigenen „Projektraum“ aufmacht, wie EIGEN + ART Lab. Andersherum ist es vielleicht auch gar nicht schlimm, dass in einigen Projekträumen etwas verkauft wird, weil das idealerweise den Künstler*innen hilft. Alles, was die Kunst und die Künstler*innen in dieser Stadt voranbringt, ist ja letztlich gut. Es geht aber zum Beispiel beim Projektraumpreis trotzdem darum, dass der Senat hier eben nichtkommerzielle Projekte fördert und unterstützt. Und das funktioniert nur, wenn man dieses Nicht-Kommerzielle definiert. Wir dürfen uns als Netzwerk also nicht um die Frage drücken, was denn nun ein Projektraum ist. Wir sind ja die Interessenvertretung dieser Szene und daher müssen wir definieren können, wer überhaupt ein Teil davon ist. Wir gehören außerdem unserem Selbstverständnis nach zur freien Szene, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Was heißt also dieses „freie“, das muss man klären und daher genauer hinschauen.

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Netzwerk freier Berliner Projekträume und -initiativen e.V.at Project Space Festival Berlin 2018, photo by Oliver Möst

Was ist für dich der Wert der freien Szene für Berlin?
Berlin schmückt sich ja gerne mit der freien Szene. Wir haben vielleicht nicht den großen Markt hier, aber die Stadt ist der Ort der Produktion. Und produzieren tun natürlich in erster Linie die Künstler*innen und die brauchen Orte zum Ausstellen. Das wiederum können die Galerien bei Weitem nicht abdecken. Darüber hinaus besteht in den Galerien der Druck, sich am Markt zu orientieren. Und wir versuchen in den Projekträumen ein etwas anderes, auch viel breiteres Spektrum der Kunst abzubilden. Das Selbstbestimmte hat hier einen ganz großen Stellenwert. Natürlich kann man sagen, dass die freie Szene für die Stadt auch einen wirtschaftlichen Wert hat. Das wird ja vermarktet, es bringt Touristen, es lockt. Nicht nur Touristen, sondern auch die Kreativindustrie, die nah an der freien Künstlerschaft arbeiten will. Seit Jahren wird das Potential der freien Szene stark herausgestellt, sie ist nur weiterhin wahnsinnig unterfinanziert. Und so müssen Künstler*innen vielleicht irgendwann weiterziehen und Projekträume müssen schließen, weil sie sich die Mieten nicht mehr leisten können.

In Sachen Finanzierung und Anerkennung hat sich durchaus einiges getan. Es hat gleichzeitig eine zunehmende Professionalisierung der Projekträume gegeben in den letzten Jahren. Diese Form der Arbeit geht natürlich auch mit größeren finanziellen Bedarfen einher, die eigentlich nur noch durch Förderung oder Kommerzialisierung zu decken sind. Wäre es nicht wichtig, sich weiterhin Möglichkeiten offenzuhalten, die von einer Förderung oder dem Kunstmarkt unabhängig bleiben? Wenn man nur noch in Projekten denkt, die eine HKF-Förderung brauchen, verliert man dann nicht eine Flexibilität und Spontaneität, die es früher noch gab?
Na klar, wenn man an die 90er-Jahre denkt und das Spontane der Szene, das hatte andere Existenzbedingungen und dadurch einen ganz anderen Charme, eine ganz andere Dynamik als eine zunehmend professionalisierte Szene, wie wir sie heute haben. Aber wenn wir ehrlich sind, dann ist das Prekäre doch geblieben. Klar, es gibt den Preis. Aber 98% des Schaffens findet außerhalb des finanziellen Schutzschirmes des Preises statt. Und auch wenn man eine Förderung hat, heißt das ja nicht, dass plötzlich alle Kosten abgedeckt sind. Nie und nimmer! Wir als Netzwerk kämpfen im Übrigen auch dafür, dass man eine Förderstruktur aufbaut, die sich gerade an der Spontaneität orientiert. Wir wollen ja eben nicht, dass man erst mal eine Programmplanung für zwei Jahre hinlegen muss, sondern wir wollen eine Strukturförderung, zum Beispiel in Form von Mietzuschüssen. Wir wollen die Nischen halten können, die wir irgendwann mal besetzt haben. Dass man ab und zu mal ein Projekt macht, bei dem ein paar Kosten gedeckt sind, und bei dem man auch den Künstler*innen Ausstellungshonorare zahlen kann, darum geht es auch.

Trotzdem stellt sich für mich die Frage, ob eine größere Professionalisierung und eine stärkere Finanzierung auch die Erwartungshaltung an Projekträume verändert hat. Früher war allen klar, dass ein Projektraum kein großes Budget haben kann, wenn überhaupt. Gibt es heute eine andere, höhere Erwartungshaltung an den Projektraum und verändert das etwas in der täglichen Arbeit?
Bisher ist das, was bei uns an Fördersummen ankam, so marginal, dass sich da für mich nichts verändert hat in der Erwartungshaltung an uns. Unser Preisgeld zum Beispiel ist total verpufft. Da hat man ein paar Mal Künstler*innen-Honorare gezahlt, einen Jubiläumskatalog gemacht und vielleicht noch eine Kreissäge angeschafft, und schon ist das Geld weg. Dann ist alles wie vorher – das wissen auch alle. Und das ist nach wie vor kein guter Zustand. Wir müssen die freie Szene finanziell absichern helfen, damit sie überhaupt bleiben kann. Es hat ja niemand etwas davon, dass wir das so charmant finden, dass alles umsonst passiert, oder dass wir keine Erwartungshaltung schüren wollen und die Künstler*innen dann aber auch kein Geld für die Miete haben und letztlich weiterziehen müssen.

In einer wachsenden, immer engeren, immer teureren Stadt Berlin: Werden die Projekträume in ihrer ursprünglichen Form hier noch einen Platz haben in zwanzig Jahren?
In der Vielfalt wird die Szene wohl nicht zu retten sein, wenn nicht die Politik mal ganz krass umschwenkt. Und für diese Legislaturperiode gab es ja erste gute Vorzeichen für die Kunst-Förderung. Wir dachten, es gäbe da bei den Regierungsparteien ein Verständnis für die freie Szene. Dennoch: Das bisschen, was geschehen ist, blieb ein Tropfen auf den heißen Stein.

Wird es vielleicht auch darauf ankommen, neue Modelle zu entwickeln für Projekträume, mit denen sich die Herausforderungen meistern lassen? Ich denke da an nomadische Räume, die z.B. nicht dem starken Mietendruck unterliegen? Sind die Projekträume eventuell sogar diejenigen, die am besten auf die Entwicklungen reagieren können, weil sie von Natur aus Überlebenskünstler sind und sich eben noch in die allerletzten Nischen zwängen können – selbst wenn das nur eine Brache ist.
Es gibt vielleicht solche Bewegungen, aber für mich, als klassische Projektraumbetreiberin, ist das keine Option. Ich will nicht einfach nur einen Parkplatz bespielen. Ich will ein Programm machen können, will Sicherheit haben, will planen können. Eine mögliche Entwicklungstendenz, die ich mir vorstellen kann, betrifft die größeren Standorte, die im Landeseigentum Berlins für Kunst und Kultur gesichert werden. Projekträume werden sich dann überlegen müssen, ob es für sie attraktiv ist, mit zwei oder drei anderen Projekträumen am selben Ort zu sein. Und natürlich wird der Weg in die Peripherie für die Projektraumszene an Bedeutung gewinnen als Bleibestrategie. Das sieht man ja allein, wenn man auf die Karte des diesjährigen Festivals schaut, da sind noch viele Leerstellen. Aber es kann sich sicherlich nicht jeder Projektraum vorstellen, nach Marzahn zu ziehen.

Wie sind denn die Erfahrungen mit dem jetzt nicht mehr ganz so neuen Kultursenator?
Es wurden viele Hoffnungen in ihn hineinprojiziert; die wenigsten haben sich erfüllt. In der Senatsverwaltung herrscht zum Beispiel ein grundsätzlich anderes Verständnis von Partizipation als das, was in der freien Szene erwartet wird. Es wird doch eher von oben herab verteilt und dann wird oft erwartet, dass man bitteschön zufrieden sein soll. Als Koalition der freien Szene haben wir lange dafür gekämpft, dass es eine Überarbeitung und Systematisierung der Förderlandschaft gibt und dass man dafür die Expertise aus den einzelnen Sparten und deren Verbänden heranzieht. Und das ist – kurz gesagt – gegen die Wand gefahren worden.

Das klingt dramatisch.
So empfinde ich das auch. Sicherlich würde das der Kultursenator aber nicht so beschreiben. Es gab lange Gespräche und es wurde uns eine sogenannte „Zielwerkstatt“ angeboten. Wir haben dann aber feststellen müssen, dass in dieser Werkstatt darüber gesprochen werden sollte, was Kunst für Touristen oder für das Publikum leisten kann und muss. Die Kunst stand nicht in ihrer Zweckfreiheit im Fokus, sondern es ging um ihre Nutzbarmachung für die Stadt. Die Kulturverwaltung möchte sich vorbehalten, dass Kunstförderung nicht zweckfrei sein muss. Die Kunst kann zweckfrei sein, die Förderung nicht unbedingt. Und da sind bei uns natürlich die Alarmglocken angegangen und alle Sparten haben sich solidarisiert und vorerst zurückgezogen. Es bleibt abzuwarten, was nun daraus wird. Es ist auf jeden Fall sehr mühsam gerade. Wir standen als freie Szene an einem Punkt, an dem wir einen richtigen Kampf ausfechten mussten und uns nun eher wieder auf die Politik statt die Verwaltung ausrichten.

Wo besteht da der Unterschied zwischen Verwaltung und Politik?
Es gibt diejenigen, die im Abgeordnetenhaus sitzen – die gewählten Politiker –, die entscheiden, was letztlich mit dem Geld passiert. Und die Verwaltung setzt diese Entscheidungen eigentlich nur um. Bisher gab es viel Dialog zwischen der Verwaltung und der freien Szene, was fast schon eine Art Tagesgeschäft für die Koalition der freien Szene war. Das ist jetzt in einigen Beispielen nicht so gut geendet. Es sind von unserer Seite aus tausende von ehrenamtlichen Stunden in diese Gespräche und Prozesse geflossen, um wichtige Impulse und Inputs zu geben. Das hat jedoch scheinbar nicht so viel gebracht, wie wir jetzt feststellen müssen – das kann man vielleicht sogar als eine Art böses Erwachen beschreiben. Und daher müssen wir uns wieder stärker an die Politiker wenden, weil dort die eigentlichen Entscheidungsträger sitzen.

Wie zuversichtlich bist du?
Im Moment bin ich vorsichtig mit Zuversicht. Man kann innerhalb der Regierungskoalition schlecht Druck aufbauen, weil die Regierungsparteien sich nicht gegenseitig in ihre Ressorts reinreden werden. Und bei der Opposition ist man eben bei der CDU, FDP oder einer anderen Partei, mit der wir spartenübergreifend den Kontakt ablehnen.

Hat die AfD überhaupt ein Verständnis von der freien Szene?
Es gab den Versuch aus der AfD heraus, Kontakte in die freie Szene zu legen. Aber sehr, sehr punktuell und ohne großes Konzept, was ja symptomatisch für die Partei ist.

Wenn man die freie Szene als traditionell linke Szene sieht, inwiefern müssen sich die Projekträume vielleicht auch wieder politisieren und in der Auseinandersetzung mit den veränderten politischen Realitäten eine neue Aufgabe finden? Kann die freie Szene Teil eines linken Erneuerungsprojektes sein, wie es z.B. gerade mit der Bewegung Aufstehen versucht wird?
Es gibt durchaus ein paar Ansätze in der Kunstszene für ein stärkeres politisches Agieren, ich denke da an den Kunstblock oder Die Vielen. Nach dem Wahlergebnis gab es in der Szene einen ganz deutlich spürbaren Aufschrei und ich glaube, dass sich da überall etwas bewegt. Die Kunst hat weiterhin das Potential, hochpolitisch zu sein, insbesondere in Berlin.

Du arbeitest seit Jahren für das Projektraumnetzwerk, was sicherlich mit einem erheblichen persönlichen Einsatz verbunden ist. Geht man da auch an seine Grenzen – und vielleicht darüber hinaus?
Der Aufwand ist riesig – katastrophal, kann man eigentlich sagen. Man muss echt aufpassen, dass man seine Energien gut verteilt. Ich würde sagen, ich mache so zwanzig Stunden fürs Netzwerk pro Woche und das allermeiste davon ehrenamtlich. Es ist aber auch eine wahnsinnig spannende Arbeit und im Moment habe ich das Gefühl, dass ich noch mehr erreichen kann, bevor ich dann vielleicht irgendwann mal den Staffelstab weitergebe. Das Wichtige ist, dass man genau weiß, wofür man kämpft: für den Erhalt einer ganzen Szene. Ich persönlich möchte nicht in einer Stadt leben, in der es diese Szene nicht mehr gibt. Also muss ich auch dazu beitragen, sie zu erhalten – ganz einfach.

Interview: Manuel Wischnewski

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