Der August ist vorbei und das Festival zu Ende. Für alle, die nicht die Chance hatten, alles zu sehen, öffnet die Festivalpraktikantin Elvira Garcia ihr persönliches Festivaltagebuch und schaut auf einen Monat der Kunst und eine Stadt voller Eindrücke zurück.
Apartment Project – 02.08.2018
Zwischen der ersten und dritten Performance des Abends bei Apartment Project findet sich das Publikum im Raum zusammen. Das elektronische Duo FezayaFirar sitzt hinter einem Computer, einem Synthesizer und anderen Geräten. Als sie mit ihrer Performance beginnen, bewegt sich ein projizierter Punkt über die Wand hinter ihnen und hinterlässt eine weiße Spur: Die türkische Künstlerin Ceren Oykut sitzt vor den Musiker*innen und zeichnet im Einklang mit den Improvisationen von FezayaFirar. Ihre Bilder werden dabei live als weiße Linien übertragen, die sich mit der gleichen Fluidität über den schwarzen Hintergrund bewegen wie der Klang der Musik durch den Raum. Oykuts Zeichnungen fangen nicht erst mit einem leeren Hintergrund an und indem sie immer wieder Dinge hinzufügt oder wegnimmt, transformiert sie Formen mit nahtlosen Übergängen. Die gemeinsame Improvisation der Künstler*innen aus unterschiedlichen Disziplinen ermutigt das Publikum dazu, das Verbindende dieser drei Performer*innen und derer Linien und Klänge zu finden. Die Performance stellt die Frage, ob der Stift der Musik folgt oder sich ihr vielleicht widersetzt. Ich empfinde die Spontaneität des Ganzen als stimulierend und beginne, nach Bildern im Sound und nach Klängen in den Bildern zu suchen. Die Arbeit von FezayaFirar and Ceren Oykut verwandelt diesen Versuch einer Verbindung zu einer wohltuenden synästhetischen Illusion.
11m2 – 03.08.2018
Auf dem Weg zum Ausstellungsort muss ich die ganze Zeit die großzügigen und reich verzierten Fassaden der Gebäude bestaunen – ein Kontrast zum Projektraum selbst, einer 11 qm großen Pförtnerloge mit einer ebenso großen Garage darunter. Die Größe verleiht dem Raum eine märchenhafte Qualität, fast so, als wäre man direkt auf Liliput gelandet. Heute Abend ist die Garage mit bemalten Tüchern ausgehangen, auf denen sich Silhouetten von Bäumen, Felsen und Wasserformationen abzeichnen, während sich im Raum darüber Leinwände mit klassischen Motiven wie Vasen oder Mosaiken befinden. Die Garage, die sich auf die Straße hinaus öffnet, dient der Tänzerin Shelley Lasica als Bühne, auf der sie die Posen und Bewegungen der Figuren auf einer römischen Vase interpretiert.
x-embassy – 04.08.2018
Die ehemalige australische Botschaft der DDR in Pankow wird seit 2017 als kollektiv betriebener Off-Space genutzt, in dem Workshops, Performances und Ausstellungen stattfinden. Ich fühle mich ein bisschen wie ein privilegierter Eindringling, als ich durch die modernistischen Räume laufe, die ursprünglich für geheime diplomatische Treffen entworfen worden sind. Später kommen alle im Garten zusammen, wo die Besucher*innen trinken, etwas essen und sogar Tennis spielen – eine Atmosphäre, die weiter nicht entfernt sein könnte von der exklusiven und klandestinen Aura einer Botschaft.
uqbar – 05.08.2018
In der Lesung werden Versatzstücke von Faust mit Nachrichtentexten und persönlichen Notizen über ermordete argentinische Unterstützer*innen des indigenen Mapuche-Volkes miteinander vermischt. Auf diese Weise werden verschiedene Formen der Unterdrückung miteinander in Verbindung gebracht, die aus unterschiedlichen Verständnissen von der Beziehung zwischen Erde und Mensch herrühren: Einige Leute glauben an die Möglichkeit, Land zu besitzen, und daher auch an das Recht, anderen Menschen ihr Land zu rauben. Andere wiederum sehen die Erde als Ort, der miteinander zu teilen ist. Die Lesung bei uqbar ruft Bilder der Unterdrückung und Gewalt hervor, die entstehen, wenn die erste Haltung über die zweite obsiegt.
CNTRM – 06.08.2018
In einem ehemaligen Wachhäuschen aus DDR-Zeiten wird eine Videobotschaft gezeigt, die während der Zeit der Jugoslawienkriege aufgenommen wurde. Im Video stellen sich die Protagonist*innen vor, eine Zeitmaschine erfunden zu haben – eine Phantasie, die Hoffnung und Einfallsreichtum in Zeiten von Verzweiflung heraufbeschwört. Jedes Mal, wenn das Video zu Ende ist, betreten Performer*innen das Häuschen und lesen das Skript des Videos in ihrer jeweiligen Sprache vor – Spanisch, Englisch, Chinesisch, Russisch und viele mehr. Mit dem Wechsel der Sprachen beginne ich die Geschichte des Videos als etwas Universales zu verstehen. Der Mann, der das Skript in Spanisch liest, hat einen argentinischen Akzent und erinnert mich damit an die Geschichte des Mapuche-Volkes, die gestern bei uqbar diskutiert wurde – und daran, wie auch die Angehörigen dieses Volkes vielleicht von einem Ausweg träumen. Der Abend heute lässt mich die Ideen der Hoffnung und Vorstellungskraft als losgelöst von geographischen Bindungen verstehen, als etwas, das allen Menschen eingeschrieben ist.
Schneeeule – 07.08.2018
Ich betrete den weißen Raum und schaue auf die Wände. Bunte und monochrome, gerahmte und ungerahmte Papierarbeiten sind frei auf ihnen verteilt. Inspiriert von dem unbeschwerten Rhythmus, der sich hier abspielt, entscheide ich mich, weder auf den Ausstellungsplan noch auf den Pressetext zu schauen. Ohne mich darum zu kümmern, wer welche Arbeit gemacht hat, betrachte ich den Raum, und wie er von den Arbeiten erhellt wird. Ich glaube nicht, eine der einzelnen Arbeiten wirklich erfasst zu haben, aber der Chor der hier gezeigten Werke lässt mich glücklich zurück.
mp43 – projektraum für das periphere – 08.08.2018
Heute rückt mp43 Dinge in den Blick, die ansonsten unbemerkt bleiben, indem hier Fotografien von Wohnzimmern aus der lokalen Nachbarschaft gezeigt werden. Auf ganz ähnliche Weise verweist auch der Raum selbst auf das Übersehene, da er sich in der Peripherie der Stadt befindet. Seine Lage in den Außenbereichen Berlins distanziert die Besucher*innen von den zentraleren, gentrifizierten Gegenden. Die 16 Haltstellen vom Alexanderplatz sind schon an sich eine interessante Erfahrung für viele von uns, die sich letztlich oft nur in einem kleinen Teil der Stadt bewegen und große Teile dieser Metropole nie erleben. Der Projektraum mp43 lädt dazu ein, sich jene Orte der Stadt genauer anzusehen, die genauso unbeachtet sind wie die hier ausgestellten Wohnzimmer.
Kreuzberg Pavillon – 09.08.2018
Das Rollenspiel im Kreuzberg Pavillon klang wie eine aktive und herausfordernde Abwechslung zum restlichen Programm des Festivals. Allerdings musste man sich dafür anmelden und als ich endlich eine E-Mail geschrieben hatte, war es leider schon zu spät. Die offenen Türen der anderen Räume im Festival haben mich total vergessenen lassen, dass man sich hier anmelden musste.
NON Berlin – 10.08.2018
Draußen vor der Ausstellung über die demilitarisierte Zone zwischen Nordkorea und Südkorea (DMZ) findet eine Diskussionsveranstaltung statt. Hier wird das Naturschutzprogramm für das Grüne Band (den Bereich entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs) besprochen und ob es vielleicht ähnliche Zukunftslösungen für die DMZ geben könnte. Der Hof von NON Berlin umgibt das Publikum ganz ähnlich, wie auch die Ideen zu einer Bewahrung jüngerer Geschichte und der Natur es tun. Die Ausstellung und Diskussion beschwören die wunderschöne Idee herauf, Grenzen auszuradieren, ohne gleichzeitig die Erinnerung daran zu verlieren, wie sie einst entstanden sind.
grüntaler9 – 11.08.2018
Der Projektraum grüntaler9 präsentiert eine Reihe von Performances über eine Spanne von neun Stunden hinweg. Eine Erzählung beginnt, während eine andere endet: von einem Pärchen, das Sand austauscht, bis hin zu Performer*innen, die durch Ballons miteinander sprechen. Das Publikum lässt sich treiben und wird Zeuge von unterschiedlichen menschlichen Perspektiven und Erfahrungen, die nicht miteinander verbunden sind und zudem nur so kurz aufflackern, dass keine Zeit bleibt, eine kohärente Erzählung daraus zu stricken. Diese neun Stunden geben einen kurzen Einblick in die Köpfe anderer Menschen, ohne dabei Druck auszuüben, der Erfahrung eine Logik abzuringen.
LAGE EGAL – 12.08.2018
Heute werden in einer ehemaligen Fabrik in der Herzbergstraße Werke gezeigt, die natürliche Materialien wie Rinde, Blätter oder Essen mit synthetischen Materialien wie Glas oder Plastik vermischen. Ihre komplexen und verwinkelten Formen erwecken jedoch einen vollkommen artifiziellen Eindruck. Die Ausstellung lädt die Besucher*innen auch dazu ein, jene Teile zu erraten, die essbar sind, und diese dann sogar zu probieren. Die ungewöhnlichen Formen, Farben und Geschmackseindrücke der essbaren Teile steigern die Spannung zwischen dem Natürlichen und dem Künstlichen und unserer eigenen Stellung zwischen beiden Polen.
FK-Kollektiv – 13.08.2018
Über zehn Stunden hinweg versammeln sich am Kiehlufer verschiedene Künstler*innen und die Besucher*innen, um das Format des Selbstporträts und Vorstellungen von Identität zu erkunden. Ich komme in den letzten beiden Stunden dazu und gerade findet eine Diskussion über unsere digitale Identität statt. Für mich ist es jedoch interessanter zu sehen, wie sich der relativ kleine Raum durch die Bilder und Schriftstücke verwandelt hat, die hier in den letzten Stunden erarbeitet worden sind. Außerdem betrachte ich aufmerksam die Gestik oder die Kleidung der Personen, die gerade über das Thema Identität sprechen. Diese Beobachtungen zu machen, ist für mich fast genauso spannend, wie den Diskutierenden zuzuhören.
Kabinetas – 14.08.2018
Es ist Dienstag und Menschen allen Alters und aus ganz unterschiedlichen Kontexten gehen über den türkischen Markt am Maybachufer. Wie es seit Jahrhunderten auf Märkten der Brauch ist, werden Produkte aus aller Welt und für ganz verschiedene Zwecke hier an diesem öffentlichen Ort zusammengetragen, um verkauft zu werden: Früchte, Accessoires, Fisch, Pflanzen und Fleisch. Obwohl der Stand von Kabinetas auf diese einfache Art der Zusammenkunft verweist, unterzieht das Projekt die historischen und aktuellen ethischen Grundlagen des Handelsaktes einer Revision. Anhand von Tee und der komplexen Geschichte des Produktes schlägt Kabinetas einen Markt vor, der sich der Ausbeutung entledigt und sich auf die Idee des Austauschs konzentriert.
SCHAU FENSTER – 15.08.2018
Als ich den langen Raum mit der gläsernen Fassade betrete, stehe ich einer Projektion von Birgit Heins Film Die unheimlichen Frauen gegenüber, die von einer Ausstellung von vier anderen weiblichen Künstlerinnen umgeben ist. Der Film versammelt alte und neue Szenen aus verschiedenen Quellen wie zum Beispiel Dokumentationen oder trivialen Filmen und schafft so ein dichtes Mosaik über Frauen, das keine eingrenzende Klassifikation zulässt. Frauen treten hier in den unterschiedlichsten Rollen auf: Sie üben Gewalt aus, meistern beharrlich ihre Jobs, sind liebevoll oder wütend, sie masturbieren, während ihnen in anderen Szenen die Klitoris verstümmelt wird, sie gebären oder begehen Verbrechen. Diese Aufeinanderfolge ganz unterschiedlicher Bilder schafft ein ausdifferenziertes Portrait, das davon Abstand nimmt, eine ganze Hälfte der weltweiten Bevölkerung einfach über einen Kamm zu scheren.
Netzwerk freier Berliner Projekträume und –initiativen – 16.08.2018
Die Diskussionsveranstaltung heute Abend beschäftigt sich mit der Frage, was eine Galerie von einem Projektraum unterscheidet. Die naheliegende Antwort ist, dass der Projektraum einen Ort schafft, an dem Menschen ihre Ideen verwirklichen können, ohne dass sie den Druck verspüren, ein konkretes und vielleicht sogar verkaufbares Resultat abliefern zu müssen – das heißt, ohne die Idee der Spekulation ins Spiel zu bringen. Als die Diskussion aber fortschreitet, verliert sie sich in der Auseinandersetzung über einzelne Begriffe und in dem Versuch, ungeliebte Termini wie „kommerziell“ zu vermeiden und sich an ansprechenderen Begriffen zu orientieren. Ich frage mich irgendwann, von was sich die Redner*innen eigentlich distanzieren wollen, wenn sie so genau darauf achten, mit welcher Terminologie sie assoziiert werden wollen – und ob sie damit nicht wieder auf etwas spekulieren.
Farbvision – 17.08.2018
Beim Projektraum Farbvision organisieren drei Künstler für einen Abend lang drei Bars. Die Veranstaltung kann als Parodie auf andere Eröffnungen verstanden werden, bei denen das eigentliche Ereignis nicht die ausgestellten Arbeiten sind, sondern das soziale Miteinander, das sich dazwischen abspielt. Auch heute Abend bleiben viele draußen auf der Straße vor dem Raum und trinken oder reden miteinander – und werden so Teil dieser Arbeit.
Untergrundmuseum U 144 – 18.08.2018
In den unterirdischen Kammern des Untergrundmuseum U 144 haben die Künstler*innen Rainer Görß und Ania Rudolph eine Tour zusammengestellt, in der sie Objekte unterschiedlichster Herkunft und aus verschiedensten Zeiten miteinander in Verbindung bringen. So entsteht ein Narrativ über soziale Systeme und deren Veränderungen innerhalb der Stadt Berlins. Einer der interessantesten Momente findet am Ende statt, an der Bar, als Görß und Rudolph eine Unterhaltung mit den Besucher*innen anregen. Ganz oben an der Decke des Raumes sehe ich ein kleines Oberlicht – der einzige Kontakt zur Außenwelt. Es lässt mich an politische Untergrundbewegungen denken und daran, wie es sich wohl anfühlen muss, unter der Oberfläche im Verborgenen zu wirken.
rosalux – 20.08.2018
Die Künstlerin Ghita Skali sitzt hinter ihrem Tisch und liest im Schein einer Lampe Geschichten über Einwohner*innen eines Viertels in Kairo. Skali zeichnet die fiktionalisierten Biographien echter Personen nach und verwischt so die Grenze zwischen Realität und Phantasie. Geschichten wie die eines Stars aus den 1950ern, der sein eigenes Cabaret-Theater eröffnet, oder die eines blinden Mannes, der sein Auskommen damit bestreitet, andere Blinde zu führen. Indem sie Forschung, Fiktion und Gerüchte miteinander verwebt, konstruiert sie eine neue Geschichte und ruft uns damit das Kit-Kat-Viertel vor Augen. Dessen Straßen laden uns dazu ein, sich im Netz ihrer Geschichten zu verlieren.
Scharaun – 21.08.2018
Ich betrete ein Industriegebäude in Charlottenburg–Nord und schaue, wo hier das Festival stattfinden könnte, sehe aber nur eingelagerte Kochutensilien. Als ich in den zweiten Stock gehe, bin ich plötzlich umgeben von blauen klassischen Skulpturen, extravaganten Pianos, Schriftstücken von Fluxus-Künstler*innen und seltenen Vinyl-Ausgaben. Ich befinde mich im Archivio Conz, einer Sammlung von 3000 Objekten aus den Bereichen Fluxus, Lettrismus und anderen Richtungen, die nach dem Tod von Francesco Conz hierher nach Charlottenburg gebracht worden sind. Heute öffnet das Archiv seine Türen für die Festivalbesucher*innen und ich bin überglücklich, in das Tagebuch eines Fluxus-Musikers schauen zu können, zu dem ich nirgendwo sonst Zugang hätte. Gleichzeitig muss ich daran denken, dass all diese 3000 Objekte einem einzigen Mann gehörten. Ich beginne darüber nachzudenken, welchen Einfluss die Frage des Besitzes von Objekten auf ihre öffentliche Zugänglichkeit hat. Auch beim zweiten Teil des Abends beschäftigt mich diese Frage wieder, als uns Scharauns Kurator durch die umliegende Gegend führt, wo viele Gebäude des gefeierten Architekten Hans Scharoun stehen. Die Diskussion während der Tour und auch die Ausstellung im Projektraum später konzentrieren sich auf den bemerkenswerten Umstand, dass viele dieser Gebäude auf Google Maps auf Wunsch ihrer Besitzer unkenntlich gemacht werden, obwohl sie von vielen als Gegenstand des öffentlichen Interesses betrachtet werden. Ich denke an meinen Besuch im Archivio Conz zurück und frage mich, was es wohl bedeutet hätte, wenn der Sammler entschieden hätte, die Objekte vor der Öffentlichkeit zu verstecken, und ob sie nun, da sie in Form eines Archivs gezeigt werden, der Öffentlichkeit gehören? Ich verspüre großes Glück, von dieser Auswahl an Objekten umgeben zu sein, und ich bin dankbar für die ganze Arbeit, die in ihre Auswahl und Einordnung geflossen ist. Trotzdem muss ich daran denken, dass diese Objekte, die von so großem Interesse für das Publikum sind, von der Entscheidung einer einzelnen Person abhängig sind. Das lässt mich an den Wert kuratorischer Arbeit denken, deren Fürsorge für eine Auswahl von Objekten sich nicht von persönlichem Besitz ableitet, sondern von der Idee öffentlicher Zugänglichkeit.
East of Elsewhere – 22.08.2018
Die Gruppenausstellung shadow “play” ist in zwei Teile unterteilt: Während des Nachmittags stellen die Künstler*innen eine Arbeit im Projektraum auf der Büschingstraße aus, während sie am Abend eine zweite Arbeit auf dem Bunkerberg im nahegelegenen Volkspark Friedrichshain zeigen. Als ich ankomme, informiert mich ein Zettel an der Tür, dass bereits der zweite Teil der Ausstellung im Park begonnen hat. Mir fällt plötzlich auf, dass es bereits Ende August ist und die Sonne um 20h abends schon vollkommen verschwunden ist. Weder natürliches noch künstliches Licht erhellen den Park jetzt und es sind nur wenige Leute unterwegs. Den Anweisungen der Karte folgend, gehe ich den gewundenen und leicht überwucherten Pfad entlang, der zum oberen Teil des Berges führt. Plötzlich bekomme ich aber Angst und laufe schnell wieder zu der Stelle des Parks zurück, die noch beleuchtet ist. Die Dunkelheit und freie Natur haben mir hier eine Angst eingejagt, die ich wohl innerhalb der vier Wände eines Projektraumes nicht bekommen hätte. Und so habe ich die von der Ausstellung gestellte Frage auf ganz eigene Weise erkundet: „Was sind unsere bewussten und unbewussten Assoziationen mit Raum?“ Vielleicht haben die Schatten ja einen Streich mit mir gespielt …
Netzwerk freier Berliner Projekträume und -initiativen – 23.08.2018
Obwohl heute Abend viele Themen diskutiert werden, beschäftigt mich am meisten die Frage nach der Rolle von Kunstprojekten im Gentrifizierungsprozess der Stadt. Eine der Diskutierenden schlägt vor, sich den Begriff der „Spekulation“ genauer anzusehen – und darüber nachzudenken, ob nicht kulturelle Produzent*innen und Immobilienentwickler*innen in ähnliche Prozesse involviert sind.
SPEKTRUM – 24.08.2018
Das Publikum sitzt im Kreis um Olga Kozmanidze herum, die ein Armband trägt, das mit einem Apparat verbunden ist, der von Marcello Lussana bedient wird. Kozmanidze und Lussana haben die Vorrichtung gemeinsam erfunden. Die Besucher*innen haben die Möglichkeit, selbst ein Armband zu tragen und eine Performance zu gestalten, zunächst mit Kozmanidze, später auch mit anderen. Die Armbänder machen aus beiden Beteiligten zwei entgegengesetzte Pole, die einen Sound erzeugen, dessen Rhythmus und Textur davon abhängt, wie sich die beiden bewegen. Die unterschiedliche Nähe zwischen beiden trägt dazu bei, verschiedenste Melodien zu erzeugen. Hier ergibt sich der Klang aus diesem performativen Tanz der Beteiligten und stellt damit die herkömmliche Abfolge auf den Kopf, nach der es die Bewegung ist, die der Musik folgt.
CAVE3000 – 25.08.2018
Die heutige Ausstellung findet im Erdgeschoss eines Wohnhauses in Neukölln statt. Der Hauptraum der Wohnung ist der Präsentation von Objekten wie Bildern, Büsten oder Fotografien der Schauspielerin Angelina Jolie gewidmet. Im Flur hängen T-Shirts mit ihrem Konterfei. Wie viele andere verbringe auch ich die meiste Zeit auf dem Hof. Aber jedes Mal, wenn ich die Ausstellung betrete, achte ich, wohin ich trete, und verhalte mich so vorsichtig, als würde ich die Wohnung von jemandem betreten. Die häusliche Atmosphäre des Ortes verstärkt das Gefühl, dass man hier in den privaten Raum einer Künstlerin (oder ihrer Persönlichkeit) tritt.
nationalmuseum – 26.08.2018
In Anlehnung an das Spiel Stille Post versammelt die heutige Ausstellung Arbeiten von zehn Künstler*innen, die jeweils auf eine andere, „vorhergehende“ Arbeit reagiert haben. Da es keine Hinweise darauf gibt, in welcher Reihenfolge die Arbeiten interpretiert und produziert worden sind, ist das Publikum dazu ermutigt, genau hinzusehen und über die möglichen Verbindungen zwischen den einzelnen Werken nachzudenken. Für mich selbst ziehen sich als thematische Linien vor allem die Ideen des natürlichen Austausches, der Nähe und der Kommunikation zwischen lebenden Wesen durch die Ausstellung: entweder in einem Video, in dem Vögel einen Dialog miteinander halten, oder in dem Titel einer Fotografie, der drauf hinweist, dass sich Papageien sozialisieren müssten. An anderer Stelle ist es die Geste zwischen zwei unbekleideten Figuren in einem Gemälde oder die soziale Kompetenz von Sonnenblumen, die in einem Ausschnitt aus einem Interview mit einem Neurobiologen diskutiert wird.
GRIMMUSEUM – 27.08.2018
Indem er ein Stück Stoff von der Wand nimmt und sein Gesicht und seinen Körper damit bedeckt, signalisiert Sebastián Romo, dass nun die Performance beginnt. Während er kehlige Laute ausstößt und sich selbst und das Publikum mit Symbolen schmückt, ganz so wie es ein Schamane tun würde, ermutigt er die Besucher*innen dazu, seinem Rhythmus zu folgen. Er nimmt sich Stöcke, die gegen die Wand gelehnt sind, und verteilt sie im Publikum. Je mehr Leute einen Stock in der Hand halten, desto leerer werden die Wände, da die Stöcke auch dazu da sind, die Leinwände an der Wand festzuhalten. Romo verändert den Raum, in dem gehängte Objekte normalerweise der einzige Gegenstand unserer Aufmerksamkeit sind, zu einem Ort, wo die Objekte (wie Steine, Holz oder Stoffe) zu Erweiterungen unserer Körper werden, die wir tragen oder nutzen, um Klang damit zu produzieren. Die Leinwände werden herabgenommen, während das Publikum mitten im Raum ist und neue Arbeiten produziert, indem es Rhythmus, Bewegung und tiefsitzende Klänge miteinander austauscht. Der Abend endet, als alle zusammen um ein Feuer herumsitzen und gegrillte Würstchen und Marshmallows essen, die zuvor aus einer großen Tierskulptur herausgeholt worden sind, die Besucher*innen mit ihren Stöcken aufgestochen haben. Ganz so wie ein guter Schamane weiß auch Romo um das richtige Maß an Symbolismus, Feierlichkeit und Essen, um das Publikum zufriedenzustellen.
SPOR KLÜBÜ – 28.08.2018
Betritt man den Raum von SPOR KLÜBÜ, trennen blaue Vorhänge Weddings Straßen von der Arbeit Ira Schneiders. Ein zweieinhalbstündiges Screening versammelt hier einen Teil seines lebenslangen Werkes: von einem Nachmittag an der See mit Jean-Luc Godard, Wim Wenders und anderen bis hin zu wasserartigen, geschmeidigen und farbenvollen abstrakten Formen oder Aufnahmen der Woodstock-Festivals 1969 und 1994. Die Abfolge der verschiedenen Videos versetzt mich in einen angenehmen Zustand, in dem ich nicht das Gefühl habe, dem Narrativ eines Skriptes folgen zu müssen. Diese Aufnahmen zeigen, was die Augen anderer gesehen haben, und lassen gleichzeitig Raum für einen eigenen, inneren, ruhigen Monolog. Ich trete durch die blauen Vorhänge wieder auf die Straßen Weddings hinaus und stelle mir dabei eine Unterhaltung zwischen zwei Liebenden auf dem Woodstock-Festival vor.
tête – 29.08.2018
An diesem Abend werden uns bei tête weder fertige Antworten noch abgeschlossene Arbeiten präsentiert. Die fünf teilnehmenden Künstler*innen sind gefragt worden, Objekte für die Präsentation auszuwählen, die sie in irgendeiner Weise in ihrer Arbeit inspiriert haben: darunter Werkzeuge oder eine Seite, die aus einem Kalender herausgerissen wurde. Die Objekte werden von Texten begleitet, die dieser etwas obskuren Schatztruhe einen Sinn geben und etwa aus einem einfachen Bleistifthalter ein Erinnerungsstück an den Großvater machen, der einen Wert selbst in den kleinen Dingen sah – sogar einem winzigen Reststück eines Bleistiftes, der zu klein geworden war, um ihn mit den Fingern noch halten zu können.
meantime projects – 30.08.2018
Der letzte Trip dieser einen Monat lang dauernden Reise des Festivals findet in einem Bus statt, der uns durch Berlin fährt. Während der Regen auf die Straßen der Stadt niedergeht, bietet der Doppelstockbus Raum für eine Kurzgeschichte, ein Videoscreening und eine Performance. Mich erinnert das an Kindheitstage, an Fahrten im Auto, geschützt vom Regen, während jemand im Fahrersitz alles unter Kontrolle hat. Dieser warme, sich bewegende Ort öffnet einem einen Blick auf die Stadt: ein sich ständig änderndes Bild, in das die Reisenden alle ihre eigenen Gedanken hineinlegen können.