PSF: Ihr habt Ausstellungsprojekte im Tieranatomischen Theater, in einem, kurz vor der Renovierung stehenden Haus in der Lützowstraße, im öffentlichen Raum des Tempelhofer Felds, im Kunsthaus Dahlem und auf dem Dachboden des alten Postfuhramts Berlin organisiert. Was waren eure Beweggründe, von Anfang an eine nomadische Plattform (ohne festen Raum) zu gründen?
Sylvia Sadzinski (NBR): Berlin befindet sich in einem starken Wandel – mehr als viele andere westeuropäische Städte. Zusätzlich vereint Berlin viele verschiedene historische Epochen und Ereignisse, die sich in den Gebäuden, aber ebenso im öffentlichen Raum der Stadt widerspiegeln. Für uns sind diese Räume und ebenso der Wandel immer mit Fragen und gleichzeitig mit Möglichkeiten verbunden. Keinen festen Ort und Raum zu haben, ermöglicht es uns, unsere Projekte frei und offen zu gestalten. Uns immer wieder auf Entdeckungstour zu begeben oder sich von Räumen, die sich uns eröffnen, einnehmen und überraschen zu lassen. Gleichzeitig ermöglicht uns die Arbeit mit und in unterschiedlichen Räumen, verschiedene Menschen zu erreichen. Und selbstverständlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass zu Beginn auch ein ökonomischer Faktor ausschlaggebend war.
Manuel Wischnewski (NBR): Genau, am Anfang war das sicherlich einem bestimmten Pragmatismus geschuldet. Wir wussten beispielsweise auch immer, dass wir unseren aller ersten Ausstellungsraum nicht lange haben würden. Daher war uns klar, dass NBR nomadisch würde sein müssen. Aber mit den Jahren haben wir das Nomadische wirklich als eigenständige Kraft zu verstehen gelernt. Man geht anders durch die Stadt. Man muss einen viel wacheren Blick für Räume und deren Geschichten entwickeln. Es geht ja nicht nur darum, immer wieder neue Kulissen für austauschbare Projekte zu finden. Wir wollen ganz konkret aus den Orten unserer Stadt heraus Erzählungen schöpfen und diese dann in Projekten festhalten. Also ein Archiv schaffen.
Alex Head, A dredging device made of found objects from Der Köpi Brache, Berlin, 2012
Foto: Alex Head
PSF: Für das Project Space Festival im letzten Jahr hattet ihr die Publikation Vom Ende des Projektraums präsentiert, in der ihr für eine größere Anerkennung der Rolle des Projektraums als unabhängigem „dritten Raum“ plädiert. Dieser Raum, argumentiert ihr im Text, sollte fähig sein, „nein“ sagen zu können. Was war der Anlass für die Veröffentlichung dieses Textes?
Manuel Wischnewski (NBR): Es gab ein paar unterschiedliche Gründe. In dem Jahr hatte der Berliner Senat einen der Projektraumpreise an eine Einrichtung verliehen die – zumindest in Teilen – als kommerzielle Galerie agierte. Und ich empfand das als ziemlich absurde Situation. (Über die auch viele so sprachen – aber immer nur hinter vorgehaltener Hand.) Dann fing ich an mich näher mit den jüngeren Entwicklungen in der Projektraumszene zu beschäftigen. Die für mich überraschendste Erkenntnis war dann, dass die Projekträume auf der einen Seite plötzlich unglaublich viel Erfolg hatten – was ihr Ansehen und ihre Möglichkeiten betraf, sogar ihre finanzielle Situation. Auf der einen Seite aber war immer unklarer, was einen Projektraum überhaupt ausmacht. Da fand wirklich eine Art Verwässerung der Begrifflichkeiten statt. Leute mit ganz unterschiedlichen, ja sogar sich gegenseitig ausschließenden, Ansätzen und Arbeitsweisen nahmen da die Idee des Projektraums für sich in Anspruch. Und das schadet einem Begriff letztlich. Im Falle des Projektraums ist das besonders tragisch, weil das Konzept eines nichtkommerziellen, unabhängigen Ortes eben so wichtig ist für eine gesunde und funktionierende Kulturszene. Als Barriere, als Schutzwall manchmal. Oder als sicherer Ort. Und das aus den Händen gleiten zu lassen, wäre sehr verantwortungslos. Daraufhin habe ich dann angefangen, über eine möglichen Erneuerung des Begriffs nachzudenken. Eine Art nachdrückliches Insistieren auf bestimmte Prinzipien, aber eben auch eine Nachjustierung. 2015 ist nicht mehr 1995 und man muss auch Wege finden, sich in dieser neuen Umgebung realistisch zurecht zu finden. Man muss den Begriff quasi einsatzfähig halten. Ich bin ja letztlich kein Hardliner. Mein Herangehensweise war eher, dass man über Veränderungen wenigstens gemeinsam reden muss. Und dazu war die Publikation auch gedacht: als Ausgangspunkt für eine Diskusssion. Irgendwo zwischen Provokation und Brücken bauen.
PSF: Während Berlins Projekträume in den letzten Dekaden tendenziell in die Peripherien der Stadt verdrängt werden, bilden sich immer mehr nomadische Plattformen. Gibt es Vorteile, „peripher“ zu sein – sowohl im Sinne einer geografischen Verortung, als auch im Sinne einer bewussten Opposition zum „Mainstream“ des Kommerziellen und Institutionellen? Oder lehnt ihr diese Positionierung ins Periphere zugunsten eines anderen Selbsverständninsses ab?
Manuel Wischnewski (NBR): Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob die Projekträume für mich die Peripherie darstellen. Die Idee von dem großen Schisma zwischen den Galerien und Institutionen auf der einen Seite und den Projekträumen auf der anderen Seite ist ohnehin eher ein Mythos. Ich glaube nicht, dass sich das in der Praxis so darstellen ließe. Nichtsdestotrotz fasziniert mich am Projektraum weiterhin das unglaubliche Potential, das ihm innewohnt. Ich glaube zwar gar nicht so sehr daran, dass man als Projektraum wirklich immer unabhängig ist. Die prinzipielle Befähigung dazu ist aber viel stärker im Projektraum angelegt als in allen anderen Formaten. Das ist für mich wirklich der Kern des Ganzen und wahrscheinlich letztlich der Vorteil, von dem Du sprichst. Ein Projektraum wird kaum jemals Deine Karriere werden, wird wahrscheinlich nie für Dein Auskommen sorgen. Und daher ist man viel eher geneigt, das eigene Projekt aufs Spiel zu setzen um etwas Gutes zu bewirken.
Valerie Senden (NBR): Abgesehen davon würde ich NBR auch nicht wirklich im Peripheren verankert sehen. Ich verbinde mit der Peripherie die Idee einer wirklichen Fragilität. Da gibt es eine Einsamkeit, eine Verzweiflung. Und das interessiert uns auch an Orten und an Ideen – wir können dafür aber nicht wirklich Repräsentanten sein. Die Peripherie ist in dem Sinne für mich auch eher ein Zustand als ein Punkt auf der Karte. Nur weil man plötzlich in Moabit ausstellt heißt das ja nicht, dass man Teil der Peripherie ist.
PSF: Für das diesjährige Project Space Festival werdet ihr, am Samstag, den 27. August, das „geologische Happening“ Off the Record präsentieren. Besucher*Innen müssen sich anmelden, um daran teilzunehmen. Falls sie das Ereignis fotografieren, werden sie gebeten, die Bilder frühestents 15 Jahre später zu veröffentlichen. Warum so geheimnisvoll?
Alex Head: Die von uns vorgeschlagene ortsspezifische Intervention bezieht sich auf die sehr präsente, jüngere Stadtentwicklung. Mit dem für künstlerischen Ausdruck genutzten temporären, oft improvisierten Raum wurde m. E. in den 90er Jahren in Berlin sehr sensibel umgegangen. Die Mittel, die ich für meine Arbeit Off the Record einsetze, ehren dieses Wahrnehmungsvermögen. Die Vorstellung von „Geheimnisvollem“ oder von mythischen Konstrukten – beispielsweise eines „authentischen urbanen Terrains“ – hat sich jedoch seit den 90er Jahren spürbar verändert. Am Beispiel der Vertreibung von zehn wichtigen Atelierhäusern allein im vergangenen Jahr kann man den Trend in Berlin erkennen: alte Gebäude werden aufgemotzt, Brachen gefüllt. Von daher empfinde ich es als wichtig, auf einige der inhärenten Widersprüche der künstlerischen Arbeit im urbanen Raum hinzuweisen.
PSF: In den 90er Jahren konnten sich, unter anderen, Künster*Innen in Berlin „leere“ Räume in der Stadt für ihre eigene Agenda aneignen. Im Gegensatz dazu arbeiten wir heutzutage eher als Zwischennutzung in Räumen, die noch entwickelt werden. Würdet ihr dieser Aussage zustimmen? Vor welche Herausforderungen stellt diese Situation die Künster*Innen, Kurator*innen und andere, die heutzutage im Stadtraum Berlins agieren?
Valerie Senden (NBR): Das ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen. Auch wenn natürlich im größeren Kontext gesehen auch die damaligen “Besetzungen” mittlerweile längst mitkommerzialisiert wurden, hat sich dieser gesamte Prozess heute ganz klar beschleunigt. Die Verschränkungen sind damit viel enger geworden. Das ist natürlich immer wieder problematisch und für uns ein ständig währender Prozess, den wir für jedes Projekt neu verhandeln. Letztlich stehen wir aber immer wieder vor der Entscheidung: Wollen wir diesen Ort nun noch einmal teilen, mit ihm arbeiten, ihn zugänglich machen mit all seinen Widersprüchen? Oder akzeptieren wir, dass er verloren ist? Wir setzen uns vor jedem Projekt sehr intensiv mit dem jeweiligen Ort auseinander und dazu gehört auch sein Kontext. Uns ist vollkommen klar, dass wir damit immer wieder auch Teil des Kommerzialisierungsprozesses werden. (Was, abgesehen davon, mit dem Ort eines Projektes ja nur bedingt zu tun hat. Eine Forderung wie die des Kulturstaatssekretärs Tim Renner, Subventionen in Kultur als Investitionen zu verstehen, sprechen da für sich.)
copy & waste, Ruhm und Erschöpfung, durational performance, 2016
Foto: Roman Hagenbrock
Wir gehen damit sehr offen um, auch den Künstler*Innen gegenüber. Daher fließt der Kontext eines Projektes auch immer wieder in dessen inhaltliche Aspekte mit ein. Grundbedingung ist für uns immer, dass wir inhaltlich frei arbeiten können. Das hat für uns viel mit der Unabhängigkeit zu tun, die Manuel bereits erwähnt hat: Die Freiheit, “nein” zu sagen. Der Rest ist ein ständiges neues Austarieren, Befragen, Ausprobieren.
PSF: In eurem jüngsten Projekt mit copy & waste, Ruhm & Erschöpfung, wurde der Ort im Herzen des Projekts geheim gehalten. Gibt es Arten der Sichtbarkeit, die ihr lieber vermeiden möchtet?
Valerie Senden (NBR): Dieses Projekt stellt für uns eine wichtige Weiterentwicklung unseres Ansatzes dar: Wir haben uns entschlossen mit einem Ort zu arbeiten, ohne ihn physisch mit dem Publikum zu betreten. Die Idee war aber viel weniger ein Verstecken als eben ein Sichtbarmachen: Wir wollten diesen Ort, der vergessen mitten in der Stadt vor sich hinschlummert, teilen. Es ging uns auch um das Hinterfragen der eigenen Praxis und die Suche nach Möglichkeiten, wie man den immer knapper werdenden Raum in der Stadt schützen kann. Die Idee war also nicht, die Reichweite eines Projektes künstlich zu verknappen, sondern Sichtbarkeit nicht zwingend mit Verfügbarkeit zu verbinden.
Sylvia Sadzinski (NBR): Nicht nur bei diesem Projekt, sondern insgesamt geht es uns ja auch immer wieder um einen affektiven Zugang zu Räumen und Werken. Beide erfahrbar machen, fernab von einer Art bloßen Konsums.
Manuel Wischnewski (NBR): Die Idee von Verzicht, die dahinter steht, ist wirklich interessant für uns. Ganz konträr zu vielen unserer bisherigen Projekte. Das hat jetzt noch mal neue Energien freigesetzt. NBR ist ja mittlerweile fünf Jahre alt und es ist schön zu sehen, dass man wachsen kann mit einem Projekt. Und das es immer wieder neue Wege offen hält für einen selbst.
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Off the Record
ein Geologisches Happening
mit Alex Head
und Urban Researcher Anna Kostreva
Samstag, 27. August
11h, 15h, 19h
Treffpunkt: Nollendorfplatz: Kleiststr. / Ecke Motzstr.
Begrenzte Teilnehmerzahl. Bitte für einen der Termine anmelden.
info@neueberlinerraeume.de